Umbruchserfahrungen. Gesellschaftlicher und biografischer Wandel nach 1989 in Ostdeutschland

Bearbeitung: Kollegium des Bereichs Volkskunde
Kontakt: umbruch@isgv.de

Die vor 30 Jahren erfolgreiche „Friedliche Revolution“ und die anschließende Wiedervereinigung Deutschlands bedeuteten eine historische Zäsur, deren Folgen bis heute nachwirken. Neben den systemischen Veränderungen in Politik, Wirtschaft, Recht und Gesellschaft stellten die Auflösung und das Ende der DDR eine einschneidende biografische Erfahrung für viele Menschen dar: Mit dem Verlust der Alltagswelt der DDR ging die Notwendigkeit einer Umstellung auf neue gesellschaftliche Anforderungen, Freiheiten und Zwänge einher, die in ganz unterschiedlicher Weise – als Chance, als Niederlage oder als Notwendigkeit – bewältigt wurde.

Die Ereignisse von 1989/90, aber auch die vorhergehenden und sich anschließenden Entwicklungen, bilden den Referenzrahmen für dieses bereichsübergreifende Projekt, das individuelle und soziale Prozesse, Erfahrungen und Erzählungen des Umbruchs fokussiert. Angesichts der zahlreichen Facetten des Veränderungsprozesses und seiner bis heute anhaltenden Dynamik wird in einer multiperspektivischen Herangehensweise untersucht, wie einzelne Personen, Gruppen und Institutionen in Ostdeutschland die „neuen Zeiten“ begonnen haben, welche Deutungen des Umbruchs artikuliert wurden und welche Bewertungen in der Rückschau getroffen werden. Die Perspektiven reichen dabei von individuellen Erfahrungen mit dem Umbau der Arbeitswelt bis zu Neuorientierungen von Vertragsarbeitern und Vertragsarbeiterinnen nach 1989/90, von der Umstrukturierung der Heimatmuseen bis zu Erfahrungsberichten der ostdeutschen Bevölkerung, die seit 2014 von der Sächsischen Staatsministerin für Gleichstellung und Integration gesammelt werden. Durch den multiperspektivischen, interdisziplinären Zugriff soll die Vielschichtigkeit von Transformationserfahrungen adäquat bearbeitet sowie reflektiert und ein tieferes Verständnis für heutige gesellschaftliche Problemlagen und Konflikte ermöglicht werden.

Das Projekt ist eng verknüpft mit aktuellen Forschungsvorhaben des Instituts („Erinnern an die Arbeit im Kollektiv“, „Soziales Erbe“ und „Energie | Wende“).

Seit März 2021 besteht darüber hinaus eine Kooperation mit dem Zentrum für Integrationsstudien (ZfI) an der TU Dresden. Im Projekt „Ostdeutsche Migrationsgesellschaft selbst erzählen: Bürgerschaftliche Geschichtswerkstätten als Produktionsorte für Stadtgeschichten (MigOst)“, werden lokale Vereine von Migrantinnen und Migranten beraten und unterstützt, um Geschichtswerkstätten (in Dresden, Cottbus und Halle) zu verschiedenen Themen durchzuführen. Neben der methodischen Beratung hinsichtlich der Generierung lebensgeschichtlicher Erzählungen besteht die Kooperation in der Einarbeitung und Archivierung der empirischen Daten und Dokumente in das Lebensgeschichtliche Archiv. Gefördert wird das Projekt durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (Förderrichtlinie Citizen Science)

Im Herbst 2019 wurde der Sammelband „Umbrüche. Erfahrung gesellschaftlichen Wandels nach 1989“ publiziert; im November 2019 fand in Kooperation mit dem Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung sowie dem Zentrum für Integrationsstudien die internationale und interdisziplinäre Konferenz „Ambivalente Transformationen. ‚1989‘ zwischen Erfolgserzählung und Krisenerfahrung“ statt. Weiterhin ist – als ein Ergebnis des Forschungslehrprojekts „1989 revisited. Stadtethnografische Annäherungen an Jena“ am Seminar für Volkskunde/Kulturgeschichte der Friedrich Schiller-Universität Jena – eine Website zu Umbrucherfahrungen in einer Mittelstadt entwickelt worden.