Energie | Wende. Zur Verhandlung von Transformationsprozessen in der deutsch-polnischen Oberlausitz.

Projektbearbeitung: Katharina Schuchardt

Das Territorium der Lausitz erstreckt sich sowohl auf der deutschen als auch polnischen Seite und liegt seit 1945 in der Peripherie der jeweiligen Länder. Der Braunkohleabbau ist seit dem 19. Jahrhundert ein Charakteristikum und sichert bis in die Gegenwart die Lebensgrundlage vieler Menschen in der Region. Er kann zu Recht als Teil einer lokalen, kollektiven Identität interpretiert werden, da die Mehrzahl der regionalen Arbeitsplätze in den direkten und indirekten Industrien rund um den Braunkohlenbergbau angesiedelt ist.

Mit den sächsischen Tagebaugebieten Reichswalde und Nochten und dem polnischen Tagebau Turów ist die Oberlausitz auf beiden Seiten der nationalen Grenze zentral von Fragen zum zukünftigen Umgang mit der Energieversorgung und der Gestaltung der Region betroffen. Der deutsche Teil steht durch den bis 2038 beschlossenen Ausstieg aus der Energiegewinnung durch Braunkohle vor einem umfassenden Transformations- und Umstrukturierungsprozess, der den Alltag vieler Menschen beeinflussen wird. Polen hingegen bezieht immer noch 77 Prozent seines Stroms aus Kohle, davon 31 Prozent aus Braunkohle. So stellt Turów auf der polnischen Seite nicht nur eine Säule in der gegenwärtigen und bis 2044 geplanten Energieversorgung dar, sondern bietet vor allem eine berufliche Perspektive für die lokale Bevölkerung in dieser Region. Nichtsdestotrotz muss sich auch der polnische Staat langfristig Fragen zur zukünftigen Energieversorgung stellen, da die Klimaschutzziele der EU bis 2050 eine völlige Aufgabe von Energiegewinnung aus Kohle vorsehen.

Das Projekt fragt – entgegen der zahlreichen Forschungsarbeiten zu Strukturverteilungsprozessen und partizipatorischen Ansätzen – aus einer emischen Perspektive nach dem Umgang mit fossiler Energieversorgung aus Sicht der Bewohner*innen und Akteur*innen in der (Grenz-)Region. Damit wird eine subjektzentrierte Perspektive eröffnet, die die Menschen mit ihren Erfahrungen und Vorstellungen in den Fokus rückt und eine Perspektive „von unten“ eröffnet: Wie werden divergierende Vorstellungen von Region für die Zeit nach der Braunkohle individuell verhandelt? Wie wird die anstehende Transformation bewertet und inwiefern bilden sich neue Narrative aus? Welche Rolle spielen dabei historische Erfahrungen von Transformationsprozessen? Welche Rolle spielen im nachbarschaftlichen Kontext die gegenseitige Wahrnehmung, Ausgestaltung und Wechselwirkung für eine subjektive Perspektive in und auf die Grenzregion?

Das Projekt ist transnational angelegt und nimmt im Sinne verflechtungshistorischer Ansätze eine doppelte Perspektive ein: Es sollen neben den individuell vorgenommenen Bewertungen in beiden Ländern auch Überlagerungen und Verschränkungen innerhalb der Grenzregion herausgearbeitet werden. Die Erweiterung des Zugangs über eine nationalstaatliche Perspektive hinaus verspricht die Sichtbarmachung dieser Interdependenzen und gibt Aufschluss über Wissenstransfer in Grenzregionen.