Briefe von „Auslandsdeutschen“ als lebensgeschichtliche Zeugnisse, 1934-39

Projektbearbeitung: Sönke Friedreich

Zwischen Herbst 1934 und Frühjahr 1939 verschickte der Landesverband Sachsen des „Volksbundes für das Deutschtum im Ausland“ (VDA), des größten Volkstums-Verbandes der Zeit, sogenannte „Sächsische Heimatbriefe“ an deutschsprachige Menschen sächsischer Herkunft in aller Welt. Ziel der in insgesamt 18 Ausgaben veröffentlichten Hefte war die Erzeugung und Verbreitung eines positiven „Heimat“-Bildes, die propagandistische Inszenierung des nationalsozialistischen Deutschlands und die Bewahrung der vermeintlich bedrohten deutschen Sprache und Kultur im Ausland.

Die in allen Weltteilen, vorwiegend aber in Nord- und Südamerika verbreiteten „Sächsischen Heimatbriefe“ stellten in ihren Berichten eine sentimental-emotionsbestimmte Heimat in den Mittelpunkt, indem durch kurze Texte und zahlreiche Bilder ‚typisch sächsische‘ Topoi dargestellt wurden, von der erzgebirgischen Weihnacht bis zu jüngeren industriellen Errungenschaften. Zugleich forderten die Redakteure vom VDA die Leser*innen dazu auf, Erfahrungsberichte über ihre Migrationsgeschichte und Erlebnisse in ihrem Lebensumfeld aufzuschreiben und einzusenden. In der Folge wurden Tausende von Zuschriften an den Landesverband Sachsen eingesandt (und teilweise veröffentlicht), von der kurzen Dankesnotiz bis zu längeren Lebensbeschreibungen. Diese Briefe, die als geschlossener Bestand im Sächsischen Staatsarchiv – Hauptstaatsarchiv Dresden erhalten sind, stellen eine in dieser Dichte seltene Überlieferung lebensgeschichtlicher Zeugnisse der 1930er-Jahre dar, die Einblicke in die Migrations- und Alltagserfahrungen von Menschen und ihren Beziehungen zur sächsischen „Heimat“ zu geben vermag.

Das im Rahmen des volkskundlich-kulturanthropologischen Schwerpunktes zu lebensgeschichtlichen Materialien durchgeführte Projekt zielt auf die Erfassung und Auswertung der überlieferten Briefbestände und ihre exemplarische Untersuchung in Hinsicht auf Lebenswelten und migrantische Erfahrungen. Zugleich soll die Instrumentalisierung der individuellen Zeugnisse für die Arbeit des VDA und die NS-Volkstumspolitik im Allgemeinen analysiert werden.