Page 74 - 2019_ISGV_Forschungsdesign4.0
P. 74

groth \ prinzipielle verfügbarkeit und StrategiSche tranSparenz







       hin, dass sie keine Rolle spielen. Eine Aussage   ressiert wird, aber beispielsweise ein direkter
       kann entsprechend nur darüber getroffen wer-  Konflikt vermieden oder Kooperationen ange-
       den, dass sie in der spezifischen Situation nicht   bahnt werden sollen. Ein Beispiel hierfür sind
       geäußert worden sind. 51             internationale Verhandlungen, bei denen indi-
       Drittens muss beachtet werden, dass sprach-  gene Gruppen als Teilnehmende oder Beobach-
       liche Performanzen und ihre Textualisierungen   tende anwesend sind. Die sprachlichen Register,
       in Dokumenten von unterschiedlichen Autor/in-  die benutzt werden, verschieben sich in solchen
       nen verfasst werden und an unterschiedliche   Fällen, um deren Anwesenheit Rechenschaft zu
       Rezipient/innen gerichtet sind. In politischen   tragen. So werden etwa normative Forderungen
       Prozessen sind die konkreten Verfasser/innen   solcher Gemeinschaften nicht direkt abgewie-
       von Dokumenten oftmals opak, sei es, weil sie   sen, sondern zunächst begrüßt – dies aber in ei-
       als Teil einer größeren Organisation Dokumente   nem sprachlichen Register, dass ohne rechtliche
       nur im Auftrag kompilieren oder weil eine mög-  oder sonstige Konsequenzen bleibt. In Sitzungs-
       lichst „neutrale“ und nicht subjektiv geprägte   protokollen, die Statements von Delegationen
       Darstellung angestrebt wird: Es macht in Be-  und Verhandlungsentscheidungen reproduzie-
       zug auf Objektivität und Legitimität von Doku-  ren, ist dieser Aspekt nicht notwendigerweise
       menten einen Unterschied, ob als Verfasser/in   sichtbar. So kann eine positive Bezugnahme
       eines Dokumentes eine Organisation oder eine   etwa auf die Rechte indigener Gemeinschaf-
       individuelle Person genannt wird. Überdies ist   ten in Dokumenten als tatsächliche Unterstüt-
       von Bedeutung, ob Dokumente vorwiegend in-  zung von Anliegen verstanden werden, obwohl
       formative Funktion haben, also zum Beispiel   sie nur ideell ist.
       verbatim den Verlauf von Sitzungen wiederge-  Viertens und damit verbunden sind Ambivalenz,
       geben; oder ob durch Zusammenstellung, Be-  Ambiguität und Vagheit Schlüsselcharakteristi-
       tonungen und Auslassungen spezifische Pers-  ka von Sprache in politischen Kontexten.  Die
                                                                           52
       pektiven gestärkt werden. Die Erforschung der   Uneindeutigkeit von Sprache wird strategisch
       Entstehungskontexte kann dabei helfen, die un-  eingesetzt und muss entsprechend beim Einbe-
       terschiedlichen Modi der Autorenschaft von Do-  zug von Dokumenten als Quelle in Forschungs-
       kumenten genauer zu beleuchten. Zudem beein-  designs mitgedacht werden. Um diesen unter-
       flusst auch die Zusammensetzung des realen   schiedlichen Settings angemessen entgegen-
       oder imaginierten Publikums die Art und Wei-  zutreten, ist es aus methodischer Perspektive
       se, wie Akteur/innen sprechen, welche Wörter   notwendig, sprachliche Äußerungen zu kontex-
       sie benutzen und wie sie bestimmte Sachver-  tualisieren und ihre Entstehungszusammenhän-
       halte oder Anliegen formulieren und vortragen.   ge inklusive der in ihnen gültigen Regeln der In-
       Das ist zum Beispiel auch dann der Fall, wenn   teraktion und Interpretation mit in die Analyse
       ein bestimmtes Publikum gar nicht direkt ad-  einzubeziehen. Insbesondere dort, wo  Sprache



       51  Groth: Entstehungskontext, S. 65-66.  52  Groth: Negotiating Tradition, S. 169-170.


                                          74
   69   70   71   72   73   74   75   76   77   78   79