Edition und Kommentar. Aufbau und Vermittlung von kontextualisierenden Inhalten

Sektion III - Kommentierte Urkundeneditionen – Nur etwas für »Urkundionen«?

24. Juni 2022 - 9.00 Uhr

Matthias Kälble ‧ Dresden/Leipzig

Forschungsschwerpunkte

  • Historische Hilfswissenschaften
  • Kultur und Mentalitätsgeschichte
  • Stadt- und Ortsgeschichte
Portraitfoto von Matthias Kälble

Vita (Auszug)

  • 1997−2001 Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Lehrbeauftragter an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg (SFB „Identitäten und Alteritäten“)
  • 2001 Promotion an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg – Dissertationsschrift: Zwischen Herrschaft und bürgerlicher Freiheit (Waldseemüller-Preis) Link
  • 2002−08 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Friedrich-Schiller-Universität Jena
  • seit 2009 Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Akademievorhaben „Codex diplomaticus Saxoniae“ an der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig Link Profil

Publikationen (Auswahl)

  • zusammen mit Helge Wittmanm (Hg.), Reichsstadt als Argument, 6. Tagung des Mühlhäuser Arbeitskreises für Reichsstadtgeschichte Mühlhausen 12. bis 14. Februar 2018, Petersberg 2019.
  • zusammen mit Tom Graber (Bearb.), Die Urkunden der Markgrafen von Meißen und Landgrafen von Thüringen, 5. Bd.: 1248–1264 (Codex diplomaticus Saxoniae I/A 5), Wiesbaden 2017.
  • Original und Fälschung. Transsumpte ottonischer Herrscherurkunden für das Bistum Meißen, in: Nicolangelo D'Acunto/Sebastian Roebert/Wolfgang Huschner (Hg.), Originale, Fälschungen, Kopien. Kaiser- und Königsurkunden für Empfänger in „Deutschland“ und „Italien“ (9.–11. Jahrhundert) und ihre Nachwirkungen im Hoch- und Spätmittelalter (bis ca. 1500) (Italie Regia 3), Leipzig 2017, S. 263-292.
  • zusammen mit Tom Graber (Bearb.), Die Urkunden der Markgrafen von Meißen und Landgrafen von Thüringen, 4. Bd.: 1235–1247 (Codex diplomaticus Saxoniae I/A 4), Peine 2014.
  • Heinrich der Erlauchte, Sophie von Brabant und das ludowingische Erbe in Thüringen, in: Ursula Braasch-Schwersmann/Christine Reinle/Ulrich Ritzerfeld (Hg.), Neugestaltung in der Mitte des Reiches. 750 Jahre Langsdorfer Verträge 1263/2013 (Untersuchungen und Materialien zur Verfassungs- und Landesgeschichte 30), Marburg 2013, S. 255-287.
  • 150 Jahre Codex diplomaticus Saxoniae. Rückblick und Neubeginn, in: Zeitschrift des Vereins für Thüringische Geschichte 64 (2010), S. 398-402.
  • zusammen mit Tom Graber, Der Codex diplomaticus Saxoniae. Mediävistische Grundlagenforschung an der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, in: Denkströme. Journal der Sächsischen Akademie der Wissenschaften 5 (2010), S. 169-176. Link
  • Zwischen Herrschaft und bürgerlicher Freiheit. Stadtgemeinde und städtische Führungsgruppen in Freiburg im Breisgau im 12. und 13. Jahrhundert (Veröffentlichungen aus dem Archiv der Stadt Freiburg im Breisgau 33), Freiburg/Br. 2001.

Pragmatismus als Prinzip? Zum Verhältnis von Text und Kontext bei der Edition mittelalterlicher Fürstenurkunden

Die Edition mittelalterlicher Urkunden steht in einer langen Tradition, aus der heraus sich international gültige Standards entwickelt haben. Eine Edition soll das ihrer Zielsetzung entsprechende Urkundenmaterial möglichst vollständig erfassen, kritisch prüfen und in einem zuverlässigen Text präsentieren, der durch erklärende Sachanmerkungen und Kommentare erschlossen wird. Sie enthält im Idealfall alle Informationen, die notwendig sind, um eine Urkunde als historische Quelle nutzen zu können, ohne das Original oder die ihr zugrundeliegende Abschrift vor Augen zu haben. An eine historisch-kritische Urkundenedition sind deshalb hohe Anforderungen gestellt, die zeitintensiv und mitunter schwer zu erfüllen sind. Dies gilt umso mehr, als Editionen langfristige Geltung beanspruchen und oft schnell zu kanonischer Gültigkeit gelangen. Die Arbeit an einer Urkundenedition steht heute jedoch mehr denn je im Spannungsfeld zwischen wissenschaftlichen Ansprüchen einerseits und der Forderung nach pragmatischen Lösungen andererseits, die zu möglichst raschen Ergebnissen führen sollen. Es gilt deshalb immer wieder genau zu prüfen, welche Informationen zum Text, zur Überlieferung oder zum Kontext einer Urkunde notwendig, welche sinnvoll und welche aus Gründen der Arbeitsökonomie zu vernachlässigen sind.

Der Vortrag möchte davor warnen, Pragmatismus zum Editionsprinzip zu erheben und plädiert für eine Form der Urkundenedition, die im Zweifel eher mehr als weniger Kommentierung und Kontextualisierung zulässt. Am Beispiel der im Rahmen des Codex diplomaticus Saxoniae (CDS) edierten Urkunden der Markgrafen von Meißen und der Landgrafen von Thüringen vorwiegend des 13. Jahrhunderts soll gezeigt werden, welcher Mehrwert einer solchen Edition zukommt und inwiefern sie den Anforderungen heutiger Forschung entgegenkommt.

Die Standards orientieren sich an den Editionsprinzipien der MGH Diplomata-Reihe, jedoch ist zu fragen, ob die anhand von Königsurkunden gewonnenen Kriterien ohne weiteres auf den Bereich der Fürstenurkunden übertragen werden können. Während das Königtum seit jeher im Mittelpunkt historisch-diplomatischer Forschung steht, gibt es zur Diplomatik der Fürstenurkunde bislang nur wenige Untersuchungen. Schon deshalb erscheint eine umsichtige Kommentierung mit genauen Angaben zu den äußeren und inneren Merkmalen der Urkunden, zum Verhältnis von Aussteller- und Empfängerausfertigungen sowie zur Überlieferung besonders wichtig.

Zu berücksichtigen ist auch, dass die Urkundenbücher in der Reihe des Codex diplomaticus Saxoniae anders als die Editionen der MGH vorwiegend landesgeschichtliche Interessen bedienen und damit einen breiteren Rezipientenkreis ansprechen, der zum Teil über die fachwissenschaftliche Forschung hinausgeht. Eine möglichst genaue Regestierung sowie Sachanmerkungen etwa zu unklaren Orts- und Personennamen sind deshalb sinnvoll.

Besondere Aufmerksamkeit kommt außerdem der chronologischen Einordnung einzelner Stücke zu. Sie ist aufgrund der häufig nur unzureichenden Überlieferung etwa in Briefsammlungen und Formelbüchern nicht immer einsichtig und muss deshalb gut begründet werden.

Schließlich bleibt zu fragen, inwieweit Informationen zur Sache in einer Vorbemerkung mitgeteilt werden sollten, die während der Arbeit an der Edition gewonnen wurden und wie Aufwand und Nutzen solcher Informationen in einem sinnvollen Verhältnis gehalten werden können.

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