Fundstück aus dem ISGV – im November 2025

Im Turm verwahrt. Ein Teilnachlass von William Clemens Pfau (1862–1946)

von Jens Klingner

Schloss Rochlitz, Innenhof, 2024, Foto: Jens Klingner

Rochlitz ist immer eine Reise wert, hier gibt es an allen Ecken und Enden etwas zu entdecken. Die Stadt, gelegen inmitten des Dreiecks zwischen Leipzig, Chemnitz und Dresden, ist besonders für ihren Porphyr bekannt, der schon ab dem 16. Jahrhundert abgebaut wurde, zunächst in der Stadt, dann deutschlandweit Verwendung fand und den historischen Gebäuden ihren charakteristischen roten Farbton verleiht. Wahrzeichen der Stadt ist das Rochlitzer Schloss, welches hoch über der Zwickauer Mulde thront. Mit ca. 30.000 Besucherinnen und Besuchern pro Jahr ist das Schloss immer noch ein Geheimtipp, abseits von großen Touristenströmen rund um die zentral gelegenen und weithin bekannten Schlösser wie in Dresden oder Pillnitz.

Die „Finstere Jupe“ und „Lichte Jupe“ des
Rochlitzer Schlosses, 2024, Foto: Jens Klingner

Das Schloss gehört zu den ältesten erhaltenen Anlagen des heutigen Freistaats. Es entstand bereits im 10. Jahrhundert, war zunächst Reichsburg, ab dem 14. Jahrhundert Residenz der Wettiner, diente als Witwensitz für Fürstinnen und Jagdschloss. Im 19. Jahrhundert wurde das Schloss zu einem Verwaltungsgebäude umgebaut und fungierte in der Folge als Archiv, Gericht und Haftanstalt. Seit 1994 gehört die gesamte Anlage zum Bestand der Staatlichen Schlösser, Burgen und Gärten Sachsen gGmbH. Im Zuge der durchgeführten Sanierung untersuchte das Landesamt für Denkmalpflege das Areal und stieß auf so manchen bedeutenden Fund. Ende des vergangenen Jahres machten auch die Mitarbeiter in einer der beiden „Jupen“ – den Türmen des Schlosses – eine kleine (Wieder-)Entdeckung.

Grab von William Clemens Pfau, 1995
Foto: Jörg Hennersdorf

Die Erforschung von Stadt, Schloss und dem Amt Rochlitz gehört zum breiten wissenschaftlichen Portfolio des ISGV. Von den am Institut durchgeführten Projekten sind besonders die Edition des Briefwechsels der namhaften Reformationsfürstin Herzogin Elisabeth von Sachsen (1502–1557) sowie die Aufbereitung der Amtserbbücher im Repertorium Saxonicum zu nennen, aber auch die Publikationen zur Witwenschaft von Fürstinnen und über die Reformation sowie die Tagungen und Ausstellungen zu den genannten Themen im Schloss. Beschäftigt man sich mit der Historie von Rochlitz und Umgebung, kommt man an einem Namen nicht vorbei: William Clemens Pfau. Der promovierte Rochlitzer und Waldheimer Lehrer, der in Leipzig, Jena und Genf unter anderem Germanistik und Geschichte studiert hatte, initiierte Ende des 19. Jahrhunderts die Aufarbeitung der mehr als 1.000-jährigen Geschichte seiner Heimatstadt.

Schloss Rochlitz, 2001, Foto: Jörg Hennersdorf

1892 gründete er nicht nur den Rochlitzer Geschichts- und Altertumsverein, sondern auch das Schlossmuseum, welches zu den ältesten Museen des heutigen Freistaats Sachsen gehört. Pfau organisierte Sanierungsmaßnahmen im Schloss und nutzte die Kapelle, um dort die Sammlungen zur lokalen Besiedlungsgeschichte zu verwahren, die auch von privater Seite ergänzt wurde. Außerdem verfolgte er eine intensive heimatgeschichtliche Forschungstätigkeit: Er sammelte Quellenmaterial, unternahm Quellenstudien, wertete unter anderem Stadtpläne und -abbildungen aus, erforschte beispielsweise die Topografie der Gegend und Straßennamen, verfasste Arbeiten etwa zu den Herren der Stadt, den Forstleuten, den städtischen Brunnen, ja sogar zu tierärztlichen Themen. Pfau beschäftigte sich außerdem intensiv mit den frühneuzeitlichen Chroniken, sammelte die Steinmetzzeichen an den Gebäuden der Stadt, verfasste eine umfassende Abhandlung über das Kloster Zschillen und eine über das Rochlitzer Gerichtswesen. Seine Forschungsergebnisse veröffentlichte er vorwiegend im Rochlitzer Tageblatt, aber auch in wissenschaftlichen Zeitschriften oder als Sonderdrucke. Durch seine rege Publikationstätigkeit vermittelte er der Bevölkerung kontinuierlich historisches Wissen über Stadt und Region. Seine umfangreiche Bibliografie umfasst mehr als 500 Titel. Gleichzeitig zählt er aufgrund seiner Beschäftigung mit den Bodendenkmälern der Rochlitzer Gegend zu den „Urvätern“ der sächsischen Archäologie.

Das Rochlitzer Schloss beherbergt in einem seiner Türme, welcher als Archivstandort dient, einen Teilnachlass von William Clemens Pfau. Im vergangenen Jahr erfuhr dieser Bestand Aufmerksamkeit, da sich ein Forscher mit der Biografie des Heimatforschers beschäftigte. Das Konvolut, bestehend aus je einer Kiste und einer Mappe sowie einer großen Familienchronik, war ungeordnet und unerschlossen.

Der nähere Blick enthüllte einen wahren Schatz, denn die mit Schriftstücken prall gefüllten Archivalien enthalten neben Lebensdokumenten und familiengeschichtlichen Stücken auch verschiedene Zeitungsausschnitte und Aufzeichnungen, die unter anderem die Sammlung der Steinmetzzeichen kontextualisieren. Zum größten Teil besteht der Nachlass aber aus Briefen, etwa Glückwünschen zu Pfaus 70. Geburtstag, Dankschreiben für die Übersendung von Veröffentlichungen, Hinweisen auf Ergänzungen der Sammlung des Rochlitzer Geschichts- und Altertumsvereins durch einige Bürger sowie aus der Korrespondenz mit anderen sächsischen Heimat- und Altertumsforschern, darunter Cornelius Gurlitt (1850–1938) und Ernst Freiherr von Friesen (1836–1913), Mitbegründer des Landesvereins Sächsischer Heimatschutz. In einer gemeinsamen Kooperation des Schlosses Rochlitz und dem ISGV wird der Bestand aktuell in Dresden erschlossen, im Kalliope-Verbund verzeichnet und damit der Forschung zur Verfügung gestellt. In diesem Katalog, einem wichtigen nationalen Verzeichnis von Nachlässen, Autografen und Verlagsarchiven, sind bereits zahlreiche Einträge zu dem Rochlitzer Heimatforscher vorhanden, beispielsweise in der Sammlung Hugo Wiechel (1847–1916) aus dem ISGV sowie Briefe in den Beständen der SLUB Dresden oder der Universitätsbibliothek Leipzig. Dieses Material bietet nicht nur wertvolle biografische Informationen. Es verdeutlicht in erster Linie das umfassende Netzwerk und den Wissenstransfer zwischen Pfau und seinen Briefpartnern bei der wissenschaftlichen Forschungstätigkeit. Nach dem Abschluss der Erschließung des Rochlitzer Nachlasses in diesem Jahr und der Digitalisierung des Materials können sich interessierte Forscherinnen und Forscher mit dem Ehrenbürger der Stadt Rochlitz näher beschäftigen, ohne die Schriftenstücke in die Hand nehmen zu müssen, die nach der Aufarbeitung wieder in die „Jupe“ wandern. Dennoch sei allen ein Besuch des Rochlitzer Schlosses und seiner Dauerausstellung ans Herz gelegt, um mittelalterliche bzw. frühneuzeitliche Schloss-Architektur und historische Graffiti zu entdecken oder etwas über Dedo V. von Groitzsch (vor 1142–1190) und über die ehemals in Rochlitz ansässigen Fürstinnen zu erfahren. Nur vor Ort in den historischen Räumen kann Geschichte auch erlebbar werden.

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