Fundstück aus dem ISGV – im Juni 2025

AgitProp aus der Tasche. Zündholzetiketten aus Riesa als visuelle Quelle der politischen Propaganda und Alltagskultur der DDR

von Frank Metasch und Henrik Schwanitz

Etikettenserie zum 50. Jahrestag der Oktoberrevolution und 18. Jahrestag der Gründung der DDR, 1967.

Am 28. Juli 1967 erschien im „Neuen Deutschland“ ein Beitrag, der – auf seinen Quellenwert hinterfragt – Einblicke in die Verbindung von materieller Kultur und politischer Propaganda in der DDR bietet. Das Zentralorgan der SED vermeldet hierin, dass anlässlich des 50. Jahrestages der „Großen Sozialistischen Oktoberrevolution“ fünf Zündholzetiketten herausgegeben werden sollen, die „symbolhaft die enge brüderliche Verbundenheit der Sowjetunion mit der Deutschen Demokratischen Republik“ deutlich machen. Das Konsumprodukt „Zündware“ – einer jener unscheinbaren Gegenstände des alltäglichen Gebrauchs, deren Produktion und Verkauf massenweise verlief – erhielt durch den Anlass und die spezifische Gestaltung der Etiketten einen politischen Charakter, der über den reinen Nutzen und die Funktion als Zündholz hinausging.

Ansichtskarte mit Werk der Zündholzfabrik
Riesa-Gröba, um 1930.

Produzent jener Serie war das Konsum-Zündwarenwerk Riesa, der Hauptproduzent von Zündhölzern in der DDR. 1923 als Fabrik der Großeinkaufs-Gesellschaft Deutscher Konsumvereine (GEG) gegründet, hatte das Unternehmen nach 1945 seine Tätigkeit auch unter dem Dach der Konsumgenossenschaften der DDR fortsetzen können. Der steigende Bedarf, aber vor allem auch der Wegfall anderer Zündwarenunternehmen führte seit den 1950er-Jahren zu einem Aufschwung, und neben die Zündhölzer trat eine breite Palette pyrotechnischer Erzeugnisse. 1975 in Volkseigentum überführt, entstand nach dem 1979 erfolgten Zusammenschluss mit dem Zündholzwerk Coswig (Anhalt) der VEB Zündholzwerke Riesa, der sich aufgrund seiner modernen Produktionsweise zu einem der Vorzeigebetriebe der DDR entwickelte. Trotz dieser Bedeutung überlebte auch das Riesaer Werk die Wendezeit nur kurz. 1993 liefen die letzten Zündhölzer aus Riesa vom Band und mit ihnen erlosch auch die Zündwarenproduktion in Deutschland.

Nachwendeetikett der Riesaer
Zündwarenwerke

Im Fokus des Fundstücks stehen jedoch weder die Unternehmens- noch die Technikgeschichte der industriellen Fertigung von Zündwaren. Ausgangspunkt sind vielmehr die in die Tausende gehenden Zündholzetiketten selbst, die vielfältige Einblicke in die Bildsprache und Alltagskultur der DDR ermöglichen. Zündholzschachteln interessieren hierbei als Objekte an der Schnittstelle von Gebrauchsgrafik, Konsum- und Alltagsgeschichte, aber eben auch der Geschichte der Propaganda und der politischen Bilder.

Zündholzschachteln bzw. die darauf verklebten Etiketten werden seit jeher mit vielerlei Motiven und Bildern bedruckt. Als Werbemittel, aber auch schon frühzeitig als Medium zur Visualisierung politischer Botschaften genutzt, fanden Zündholzetiketten seit dem 19. Jahrhundert massenhafte Verbreitung, sind aber als Gegenstand, den man nach der Benutzung in der Regel entsorgt hat, bisher kaum von der historischen Forschung untersucht worden und in den öffentlichen Sammlungen oder Bilddatenbanken wenig präsent. Auch in der DDR hatte die SED die Bedeutung von Zündholzschachteln für ihre Zwecke der Agitation und Propaganda im Sinne des Sozialismus erkannt. Die Vorteile lagen wortwörtlich auf der Hand. Zündhölzer waren billig zu erwerben und während ihres täglichen notwendigen Gebrauchs nahm man die Schachtel mehrfach in die Hand, wobei man bewusst oder unbewusst die Gestaltung der Verpackung wahrnahm.

Zündholzetikett zum 5-Jahres-Plan, 1954.

Die oftmals künstlerisch ansprechend gestalteten Zündholzetiketten der DDR weisen gerade für die Zeit der 1950er- und 60er-Jahre eine beachtliche Breite an Themen und Botschaften auf, mit denen dieser Alltagsgegenstand versehen und somit politisiert wurde. Dabei lassen sich verschiedene Gruppen unterscheiden, was hier nur ausschnittsweise angedeutet werden kann: zum einen finden sich so z. B. klare politische Botschaften, die auf den allgemeinen Aufbau des Sozialismus in der DDR oder politisch-gesellschaftliche Prozesse wie die Kollektivierung in der Landwirtschaft oder die Planwirtschaft verweisen. Zum anderen lässt sich ein großer Bereich der Erziehung der Bürgerinnen und Bürger zuordnen, wofür sich gerade ein Gebrauchsgegenstand wie die Zündholzschachteln zu eignen schien. Dabei verbarg sich hinter Hinweisen zum Sparen, zur nachhaltigen Nutzung von Küchenabfällen, zum Verhalten im Straßenverkehr, zur Vermeidung von Waldbränden oder aber auch zur korrekten landwirtschaftlichen Arbeits- und Produktionsweise die Absicht der allgemeinen Bildung des „neuen Menschen“ im Sinne der sozialistischen Gesellschaftsordnung.

Diverse Zündholzetiketten aus Riesa, 1954–1961.

Zündholzetikett zum 750-jährigen Jubiläum
der Stadt Dresden mit einer Abbildung des
nicht verwirklichten Kulturpalasts, 1956.

Wie auch das eingangs zitierte Beispiel anlässlich des 50. Jahrestages der Oktoberrevolution zeigt, spielten Jubiläen bei der Themenwahl der Etiketten eine zentrale Rolle. Die etwas erzwungen wirkenden Verbindung zum 18. Jahrestag der DDR wurde nicht nur inhaltlich, sondern auch visuell verknüpft. Anlässlich von Jubiläen verwendete Stadtansichten sollten nicht nur Urlaubswünsche generieren, sondern auch auf die Errungenschaften des DDR-Städtebaus hinweisen und die Identifikation mit der sozialistischen Heimat stärken. Besonders interessant ist hierbei eine Darstellung des in den 1950er-Jahren geplanten Kulturpalasts in Dresden im „sowjetischen Zuckerbäckerstil“, die sich auf dem Etikett einer Zündholzschachtel aus Riesa anlässlich der 750-Jahr-Feier der Stadt Dresden erhalten hat und eine der wenigen bekannten Illustrationen des nie verwirklichten Gebäudes ist.

Neben den regulären Zündholzschachteln kannte die DDR auch Großschachteln, die sogenannten Luxuskoffer, die mit ihren größeren Maßen auch der Werbegrafik ganz neue Möglichkeiten, bis hin zur Verwendung von Fotografien, boten. Diese Luxuskofferetiketten zeigten vor allem ab den 1970er-Jahren einen Fokus auf touristische Darstellungen von Städten, Hotels und Gaststätten, aber auch auf kulturhistorische Aspekte sowie die Werbung für Organisationen und Betriebe der DDR.

Diverse Luxuskofferetiketten aus Riesa, 1970er-/80er-Jahre.

Exportetikett aus Riesa, 1980er-Jahre.

Eine herausragende Rolle spielen schließlich noch die für den ausländischen Markt produzierten Exportetiketten. Sie verweisen auf die Funktion des Riesaer Betriebes für die lebensnotwendige Devisengewinnung der DDR. In den 1980er-Jahren waren knapp 70 Prozent der Produktion für den Export ins Ausland bestimmt. Hierfür wurden eigene Etiketten entwickelt, die – wie etwa die Beispiele aus dem arabischen Raum zeigen – durchaus eindrucksvolle Gestaltungen hervorbrachten und sich auch in der Bildsprache den jeweiligen Gegebenheiten anpassten.

Unser Fundstück des Monats zeigt, dass sich auch hinter zunächst unscheinbar wirkenden Alltagsobjekten wie jenen Zündholzschachteln interessante Quellen für die Analyse der Alltagskultur und der Frage nach Formen der Inszenierung und Repräsentation von Herrschaft in der DDR verbergen, die bisher von der Wissenschaft nur vereinzelt in den Blick genommen worden sind. Die Vielfalt ihrer Darstellungen und ihr Aussagewert für die Kulturgeschichte der DDR bestätigt dabei einmal mehr die Aussage des Osteuropahistorikers Karl Schlögel: „Die Welt wird betrachtet und lesbar in der Geschichte der Dinge“ (Das sowjetische Jahrhundert, 2018, S. 21).

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