Fundstück aus dem ISGV – im Juli 2020

The sound of silence: Watching anti-COVID regulation “walks”

by April Reber

I wish I could capture the sound of silence in a photo. It was the silence that struck me about this anti-COVID regulation “walk” – a throwback term to the 1989 demonstrations against the GDR government. Normally I would have expected chanting, shouting, speeches, or drums to protest rights infringements. But the “walks” I observed recently were eerily quiet. Of course, at some level, they had to be. During the COVID “shutdown” large assemblies were restricted and only two people from the same household could be out together.

As I looked around the square, I realized people were talking to each other, but in whispers, barely moving their mouths so that the police couldn’t overhear them. The demonstrators also faced away from the camera that had been installed on the city hall balcony; everyone already seemed to know about the new camera installation – if city officials had hoped for inconspicuousness, they must have forgotten how quickly social media and chat networks spread news. It was as if these participants were defying state arbitrators – who restricted assembly rights – by not speaking, by creating a semblance of assembly without really assembling.

While we will be busy analyzing the social, political, and economic outcomes of COVID regulations, several things are immediately clear. First, governments have considerable power despite neoliberalism, globalism, and the many other -isms assumed to steadily chip away at state sovereignty. Second, the virus illustrates the luxury of some to speak about the infringement of democratic rights rather than the lack of hospital beds or healthcare options. The “walks” evidence considerable privilege – the privilege to demonstrate for rights, to choose to be silent, and to live in a wealthy and healthy country.

Third, the regulations demonstrate the inherent cleavages between liberal democracy and civil rights. Whether or not one agrees with the regulations, it was unnervingly fascinating how governments large and small, federal and local, could, and did, restrict people’s movements and businesses operations. As many minority groups already experience, democracy does not guarantee civil liberties.

Finally, in contrast with official venues of democratic processes, such as parliament, people used street politics to “assert” democratic rights and argue that the government had overstepped its bounds. Face masks (or not wearing face masks) became political accessories to signal people’s frustration with the government. People defied governments’ “undemocratic” restrictions by lingering in spaces they were not meant to inhabit during this period. The kinds of street politics people engaged in were simple and small-scale, but with enough force that at least in Saxony, mayors, parliament members, and even the minister president felt obligated to meet formally and informally with citizens to discuss grievances.

Eerie silence – especially politically defiant and privileged – lingers. One can’t unhear that silence.

Der Klang der Stille: Beobachtung eines “Spaziergangs” gegen die COVID-Beschränkungen

von April Reber

Ich wünschte, ich könnte den Klang der Stille auf einem Foto festhalten. Es war die Stille, die mich an diesem „Spaziergang“ gegen die COVID-Beschränkungen beeindruckte – ein Wort, das an die Demonstrationen gegen die DDR-Regierung im Jahr 1989 erinnert. Normalerweise hätte ich erwartet, dass mit Rufen, Geschrei, Reden oder Trommeln gegen Rechtsverletzungen protestiert werden würde. Aber die „Spaziergänge“, die ich kürzlich beobachtete, waren unheimlich ruhig. Natürlich mussten sie es auf einer gewissen Art und Weisen sein. Während der COVID-Massenquarantäne waren große Versammlungen eingeschränkt und nur zwei Personen aus demselben Haushalt durften zusammen unterwegs sein.

Als ich mich auf dem Platz umsah, bemerkte ich, dass die Leute miteinander sprachen, aber im Flüsterton kaum den Mund bewegten, damit die Polizei sie nicht belauschen konnte. Die Demonstranten wandten sich auch von der Kamera ab, die auf dem Rathausbalkon installiert war. Jeder schien bereits von der neuen Kamerainstallation zu wissen ­– wenn die Stadtbeamten auf Unauffälligkeit gehofft hatten, haben sie wohl vergessen, wie schnell soziale Medien und Chat-Netzwerke Nachrichten verbreiten. Es war, als würden diese Teilnehmer den staatlichen Schiedsrichtern – die die Versammlungsrechte einschränkten – trotzen, indem sie nicht sprachen, indem sie einen Anschein von Versammlung erweckten, ohne sich wirklich zu versammeln.

Während wir damit beschäftigt sein werden, die sozialen, politischen und wirtschaftlichen Effekte der COVID-Beschränkungen zu analysieren, sind einige Dinge sofort klar. Erstens haben die Regierungen beträchtliche Macht – trotz Neoliberalismus, Globalismus und der vielen anderen -ismen, von denen angenommen wird, dass sie die staatliche Souveränität stetig zerstören würden. Zweitens zeigt das Virus den Luxus einiger auf, über die Verletzung demokratischer Rechte sprechen zu dürfen, statt über das Fehlen von Krankenhausbetten oder Gesundheitsoptionen. Die „Spaziergänge“ zeugen von einem beträchtlichen Privileg – dem Privileg, für Rechte zu demonstrieren, zu schweigen und in einem reichen und gesunden Land zu leben.

Drittens zeigen die Beschränkungen die inhärenten Spaltungen zwischen liberaler Demokratie und Bürgerrechten auf. Unabhängig davon, ob man mit den Vorschriften einverstanden ist oder nicht, war es auf beunruhigende Weise faszinierend, wie große und kleine Regierungen auf Bundes- und lokaler Ebene die Bewegungen und Geschäftsabläufe der Menschen einschränken konnten. Wie viele Minderheiten bereits wissen, garantiert die Demokratie keine bürgerlichen Freiheiten.

Im Gegensatz zu offiziellen Plätzen demokratischer Prozesse wie dem Parlament nutzten die Menschen die Straßenpolitik, um demokratische Rechte „durchzusetzen“ und zu argumentieren, dass die Regierung ihre Grenzen überschritten habe. Gesichtsmasken (oder das nicht-Tragen von Gesichtsmasken) wurden zu politischen Accessoires, die die Frustration der Menschen gegenüber der Regierung signalisieren. Die Menschen trotzen den „undemokratischen“ Beschränkungen der Regierungen, indem sie in Räumen verweilen, in denen sie sich in dieser Zeit nicht aufhalten sollten. Diese Art der Straßenpolitik, mit der sich die Menschen beschäftigten, war einfach und klein, aber mit genug Kraft, dass sich zumindest in Sachsen Bürgermeister, Abgeordnete und sogar der Ministerpräsident verpflichtet fühlten, sich formell und informell mit den Bürgern zu treffen, um Missstände zu besprechen.

Unheimliche Stille – besonders politisch trotzig und privilegiert – hält an. Man kann diese Stille nicht nicht hören.

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