Fundstück aus dem ISGV – im August 2022

„Neue Zeittungen“ – Nachrichten aus dem 16. Jahrhundert

von Jens Klingner

Nachrichten gehören heute zum täglichen Leben. Ob aus der morgendlichen Radiosendung, beim Frühstück aus der Tagespresse, unterwegs auf dem Handy oder am Abend aus der Tagesschau – Nachrichten werden gehört, gelesen und gesehen. Sie sind Teil der Gespräche zu Hause, am Arbeitsplatz oder beim Sport.

Herzogin Elisabeth von Sachsen (um 1577); Sammlung des Museums Schloss Wilhelmsburg Schmalkalden, D IV a 1307.
Abb. 1: Herzogin Elisabeth von Sachsen
(um 1577); Sammlung des
Museums Schloss Wilhelmsburg
Schmalkalden, D IV a 1307.

Was heute selbstverständlich ist, war auch im 16. Jahrhundert fester Bestandteil des Alltags. Allerdings wurden Informationen auf anderen Kanälen beschafft, auch war die Zeitspanne von Ereignis bis zum Eintreffen größer. Eine wichtige Rolle nahmen die Übertragung von Mund-zu-Mund, die Übermittlung durch Boten und vor allem die Briefe ein. In ihnen teilten die AbsenderInnen ihrem Gegenüber wichtige Gerüchte und Neuigkeiten mit. Am Beispiel der Briefe Herzogin Elisabeths von Sachsen (1502–1557) lassen sich zahlreiche Beispiele für einen solchen Informationsfluss finden. /Abb. 1/ Unter anderem berichtete sie 1524 dem späteren Kurfürsten Johann Friedrich von Sachsen (1503–1554) ziemlich eindrücklich vom Ableben des bedeutenden Amtmanns vom Schellenberg, Siegmund von Maltitz, der sich zu Tode „gesoffen“ hatte. Oder sie unterrichtete 1534 ihren Bruder, Landgraf Philipp von Hessen (1504–1567), über die aktuellen Gerüchte am Dresdner Hof, laut derer Kaiser Karl V. in den Niederlanden seine Truppen zusammengezogen hätte, um während eines landgräflichen Feldzuges in Hessen einzufallen. Von den beteiligten KorrespondenzpartnerInnen häufig eingefordert, waren diese „nugen zeyttungen“ fester Bestandteil nahezu eines jeden (längeren) Schreibens in der Vormoderne.

Als sogenannter Quellenbegriff bedeutet „Zeitung“ in den frühneuzeitlichen Briefen ‚Kunde‘, ‚Botschaft‘ oder einfach ‚Nachricht‘; er ist also noch ein Stück weit entfernt von seiner aktuellen Bedeutung. Während heute ein ganzer Wirtschaftszweig mit den verschiedenen Agenturen, Medienanstalten und Verlagshäusern für die Aufbereitung sowie die Bereitstellung von Nachrichten sorgt, begann man zum Ende des 15. beziehungsweise zu Anfang des 16. Jahrhunderts erst damit, Meldungen über wichtige Ereignisse handschriftlich zu sammeln, die zur Weitergabe an andere bestimmt waren. Einzelne Untersuchungen werfen Schlaglichter auf diese Thematik und lassen in dieser Phase schon Nachrichtenhändler und weitverzweigte Netzwerke erkennen. Die angefertigten Nachrichtensammlungen konnten über die bereits erwähnten Notizen hinaus als umfangreiche Beilage einen Brief ergänzen. /Abb. 2/ Vermutlich erfolgte direkt nach dem Öffnen und Verlesen eine Trennung der „Zeitungen“ von den eigentlichen Briefen. Dieses ‚Auseinandernehmen‘ führte bei der Aufbewahrung in den Archiven dazu, dass die „Zeitungen“ oder mindestens die Sinnzusammenhänge zwischen Brief und „Zeitung“ verloren gingen. Dass es Beilagen gab, auch wenn sie nicht überliefert sind, ist aus den Briefen selbst zu erfahren, in denen – zumindest kurz – auf diese Ergänzungen verwiesen wurde. Viele dieser „Zeitungen“ sind nicht mehr auffindbar oder überliefert, auch wenn sich in den Archiven eine ganze Reihe solcher Beilagen erhalten haben. Unter anderem finden sich im Hauptstaatsarchiv Dresden die in der vormaligen landesherrlichen Kanzlei aufbewahrten „Zeitungen“ an Herzog Georg von Sachsen (1471–1539) und seine Nachfolger in einem eigenen Bestand chronologisch archiviert, die im Rahmen der Arbeiten am dritten Band der Elisabethkorrespondenz (1534 bis 1537) ausgewertet wurden. /Abb. 3/ Ab 1529 sind diese übersendeten Briefteile vorwiegend jahresweise geordnet. Die Akten geben einen Einblick in die Übermittlung der Nachrichten zum aktuellen (politischen) Geschehen der Zeit aus einzelnen Regionen und der ganzen Welt. Sie enthalten beispielsweise die Beschreibung von Eroberungsfeldzügen, Erfolge bei Belagerungen, militärische Rüstungen einzelner Feldherren mit vermuteten Truppenstärken, Mitteilungen über das Ableben wichtiger Personen oder ungewöhnliche Naturereignisse. Es blieb aber nicht nur bei den handschriftlichen Beilagen. Für 1536 ist ein Druck einer „Zeytung“ aus der königlichen Kanzlei überliefert. /Abb. 4, 5/ Seit dem Anfang des 16. Jahrhunderts lassen sich diese gedruckten Berichte nachweisen, die sich nach und nach sowohl inhaltlich als auch in ihrer Frequenz verdichteten. Bei dem vorliegenden Druck handelt es sich um eine Sammlung von Nachrichten, die wichtige Ereignisse des Monats September aus Sicht der königlichen Kanzlei zusammenfasst. Es liegen aber für diese Zeit auch schon Wochenberichte vor, die jedoch noch nicht periodisch erschienen.

Als Verfasser beziehungsweise Absender der Nachrichten an den sächsischen Hof treten für die Jahre 1536 und 1537 neben dem König und der königlichen Kanzlei weitere Personen auf. Zu nennen sind der Amtmann Peter Buttner, Wilhelm der Ältere, Freiherr zu Waldburg (1469–1557) und besonders häufig Christoph Scheurl (1481–1542), der auch andere Adressaten mit Informationen belieferte. Der Jurist und Diplomat verfügte über ein weitgespanntes Netz und nahm als Vermittler während der Reformationszeit eine wichtige politische Rolle ein. Er kann sicherlich als prominentes Beispiel eines Nachrichtensammlers und -verteilers gelten. Daneben trat die bereits erwähnte Herzogin Elisabeth als Informantin auf und versorgte Herzog Georg von Sachsen mit Nachrichten. Aus ihren Briefen wiederum geht hervor, dass es sich bei der Informationbeschaffung um verschiedene Netzwerke und Quellen handelt, wenn sie schreibt: „[...] ych lyst in [Herzog Georg] meyn nug tzeytunge lessen, aber sey gefeyllen im gar nichst. Und saget, er het auch nug tzeyttunge heut kreygen, aber es wer nich wey meyne tzeytunge.“ /Abb. 6 – oben/

Im Bestand des Hauptstaatsarchivs konnten zwei bisher unbekannte Briefe der Herzogin aufgefunden werden, die den Charakter einer Nachrichtensammlung tragen. Beide Schreiben schickte sie auf ihrer Reise 1536 aus Hessen nach Dresden und berichtete unter anderem vom Tod des französischen Königs Franz I. (1494–1547). Dass es sich dabei nur um Gerüchte handelte, war allen Beteiligten klar und wird wiederholt in den Briefen thematisiert. Hinter ihrer Mitteilung steht: „Ob dem aber also haben wir nit gruntlich(en) bericht, wiewoll mans alhie gewißlichen darfur hellt.“ /Abb. 7, 8/ Eine Auseinandersetzung erfolgte über das Einholen weiterer Informationen. Die Nachricht über den Tod des französischen Königs fanden ebenso in anderen „Zeitungen“ ihren Niederschlag, sodass sich letztlich sogar dessen politischer Gegner, König/Kaiser Ferdinand I. (1503–1564) dazu veranlasst sah, diese Gerüchte mit einem eigenen Schreiben zu widerlegen. Solche Vorgänge sind uns aus den heutigen Medien nicht unbekannt, wenn man beispielsweise an die Berichterstattung über den Krieg zwischen Russland und der Ukraine oder an die Falschmeldung vom Tod Mino Raiolas denkt. Insbesondere im Fußballgeschäft gehören die „aktuellen Gerüchte“ zum Tagesgeschäft, etwa welcher Spieler zu einem neuen Verein wechseln könnte und mit welcher Wahrscheinlichkeit des Transfers gerechnet werden kann.

Zusammenfassend eröffnet sich mit den „Zeitungen“ des frühen 16. Jahrhunderts ein wenig untersuchtes Forschungsfeld. Neben Fragen zu den ProtagonistInnen, der Bezahlung der InformantInnen oder zu den Verlagen und Druckorten sind vor allem die Prozesse bei der Sammlung und Beschaffung von Informationen sowie deren Verwertung beziehungsweise deren Konsum durch die RezipientInnen von großem Interesse. So sind Parallelen zu laufenden Debatten augenscheinlich und es lassen sich aktuelle Fragestellungen an das historische Quellenmaterial anlegen. Zum gleichen Thema bietet zudem das Museum für Druckkunst in Leipzig eine interessante Ausstellung mit dem Titel „Breaking News – Making News – Faking News“.

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