Fundstück aus dem ISGV – im August 2020
Ansichtskarte der „Zitzenfichte“ im Bobritzschtal
von Nathalie Knöhr
Die Ansichtskarte des seltenen Nadelbaumes mit den zitzenförmigen Astansätzen gehört zu einer Postkartenserie des Landschaftsschutzgebiets Grabentour, die 1978 im Bild und Heimat Verlag erschien. Erstellt wurde sie von den damaligen Mitgliedern des Fotozirkels in Freiberg im Auftrag des Kulturbundes der DDR.
Auf ihrer Motivsuche entlang der Bobritzsch wurden die Zirkelmitglieder bei strömendem Regen von einem Kamerateam begleitet: Dreharbeiten für den Fernsehfilm „Der Freiberger Fotozirkel und die Denkmalspflege“, der 1977 im Fernsehen der DDR ausgestrahlt wurde. Das Foto der unter Naturschutz stehenden Fichte machte Wolfgang Schmieder, in dessen Garage sich die Wanderer und Wanderinnen anschließend zu einem kleinen Grillfest versammelten. Die Fototour wurde so zu einem Erlebnis, an das sich die langjährigen Mitglieder der Freiberger Fotofreunde heute noch gerne erinnern. Die zehnteilige Serie, zu der unser Fundstück des Monats August gehört, ist dabei nur eine von elf Ansichtskartenmappen mit bergbau- und stadthistorisch bedeutsamen Motiven, die sie in den 1970er- und 80er-Jahren veröffentlichten.
Mit seiner bis heute regen Publikationstätigkeit steht der Fotoclub „Freiberger Fotofreunde“ im Zentrum des von Nadine Kulbe und mir am ISGV bearbeiteten DFG-Projektes zur Geschichte und Praxis der Amateurfotografie. Auf unserem Wissenschaftsblog Bildsehen / Bildhandeln, dessen Titelfoto ebenfalls auf besagtem Ausflug entstand, informierten wir in den vergangenen Monaten auch über die Auswirkungen der Coronakrise auf die Aktivitäten des Fotoclubs und das pandemiebedingte Pausieren unserer Forschungsaufenthalte in Freiberg. Nach einigen Wochen im Homeoffice begaben wir uns dann Ende Juni zu zweit und mit gebührendem Abstand auf eine fotografische Spurensuche nach den Motiven der Postkartenserie über die Grabentour.
Davon abgesehen befinden sich im Bildarchiv des ISGV zahlreiche weitere Beispiele für Post- und Grußkarten. Weitere Karten dieser Serie zeigen auch die bergbauhistorischen Anlagen des Grabensystems aus dem 19. Jahrhundert, dem der Wanderweg durch das Bobritzschtal seinen Namen verdankt. Der rund 200 Jahre alte Baum mit dem markanten Aussehen allerdings war für uns kein leicht zu findendes Motiv. Und das obwohl ein Gutteil der Flächen am Flussufer mittlerweile gerodet worden waren. So fotografierten wir auf unserer Rundtour von der Wünschmannmühle in Krummenhennersdorf bis zum Schloss Reinsberg und wieder zurück auch Fahrspuren, die forstwirtschaftliche Großgeräte entlang des Weges hinterlassen hatten.
Als wir den Baum mit dem merkwürdigen Namen auf unserer Motiv-Schnitzeljagd mit Fotoapparaten, Wanderkarte und Navigations-App schließlich doch fanden, mussten wir feststellen, dass auch er tot war. Trockenheit und Borkenkäferplage hatten die Fichtenbestände in dem Gebiet zerstört, wie wir später erfuhren.
Um den Wald vor weiterer Zerstörung zu bewahren und die betroffenen Flächen aufzuforsten, ist das Entfernen der zerstörten Fichten zwingend notwendig, informiert ein Ende Mai in der sächsischen Tageszeitung Freie Presse erschienener Artikel. Dort wurde auch berichtet, dass der Besitzer des Waldes Sachbeschädigungen und Vandalismus an Maschinen und Holzstapeln zur Anzeige gebracht hatte. Unbekannte hatten ihn mittels Graffiti mehrfach als „Waldmörder“ beschimpft. Die Bilderstrecke zum Artikel fotografierte Eckhardt Mildner, Pressefotograf in Freiberg und ebenfalls ein Fotofreund.
Unsere Suche nach der Zitzenfichte und den anderen Motiven der Ansichtskartenmappe, führte uns nicht nur ökologische, landschaftliche und denkmalpflegerische Veränderungen vor Augen, sondern hat uns auch neue Spuren und Querverbindungen entdecken lassen. Diese zeugen von der Bedeutung, die das fotografische Schaffen des Clubs und seiner Mitglieder für die nicht nur im Postkartenformat publizierten Ansichten der Stadt Freiberg und ihre Umgebung hatte und auch heute hat. ‒ Ihre fotografischen Arbeiten aus dem vergangenen Jahr zum Thema „Bäume“, sind ab Mitte September in der Sparkasse Freiberg zu besichtigen.